"Das Schiff zerbricht."
Zakharovs Worte hallten durch die Kommandozentrale. Die Blicke der Anwesenden
verdüsterten sich. "Die Unity wird dieser Belastung nicht mehr lange
standhalten."
"Das heißt?" fragte Garland knapp.
"Wir müssen mit dem Schlimmsten rechnen. Das gesamte Schiff könnte
auseinanderbrechen, bevor auch nur einer von uns die neue Welt betreten hat."
"Wir sind beinahe am Ziel." warf Miriam ein. "Warum jetzt?"
"Physik." entgegnete Zakharov trocken.
"Vielleicht ist es besser so", murmelte Deirdre. Sie war in die Kommandozentrale
gekommen, um nach der Überwältigung Santiagos Bericht zu erstatten.
Der Captain ignorierte sie oder hatte sie nicht gehört.
"Sollen wir die Unity verlassen?" frage er und sprang auf. "Sind wir nahe
genug, um die Landemodule zu starten?"
"Zu früh", entgegnete Zakharov. "Wir sollten allerdings mit den
Vorbereitungen beginnen. Lassen Sie das komplette Schiff wecken. Alle Mann
sollen sich an den zugewiesenen Landemodulen versammeln. Verteilen Sie die
Vorräte neu. Und finden Sie sich vor allem damit ab, daß
möglicherweise kein einziges Landemodul den Planeten erreichen wird."
"Vielleicht aber auch alle? Besteht diese Möglichkeit auch?" fragte
Lal.
"Ja, natürlich", erwiderte Zakharov.
"Captain, wir haben einen Statusbericht über die erste Welle der
Landemodule", unterbrach Cotter, der diensthabende Leutnant.
"Ausgezeichnet", rief Captain Garland. Hinter ihm begann Deirdre zu zittern.
"Schicken Sie die nächste Welle. Bereiten Sie die Oberfläche vor
Wir wissen nicht, wer sie wann benötigen wird."
"Captain", unterbrach ihn Deirdre, die aufgestanden war. "Ich muß
protestieren. Sind wir etwa interstellare Schmeißfliegen
ist
das unser Willkommensgruß an den neuen Planeten?"
"Dafür ist jetzt keine Zeit", war die knappe und eisige Anwort. Deirdre
öffnete erneut den Mund, doch dann erkannte sie den Zorn in Garlands
Augen. Plötzlich fühlte sie die Verzweiflung, die von allen Anwesenden
Besitz ergriffen hatte. Es ging nur noch darum zu überleben. Die Philosophie
war zweitrangig
"Nun gut", sagte sie und ging zum Aussichtsdeck.
Deirdre Skye stand auf dem Aussichtsdeck außerhalb der Kommandozentrale
und betrachtete den Planeten, der sich wie ein Juwel von der Dunkelheit des
Alls abhob. Alpha Centauri A, der Primärstern dieses Systems tauchte
den Planeten in ein wunderbares Licht, und Alpha Centauri B, die zweite der
drei Sonnen des Systems, beleuchtete die Oberfläche mit sanftem Licht.
Wie hypnotisiert starrte sie auf die neue Welt. Unbewußt berührte
sie mit einer Hand das dicke Sicherheitsglas des Fensters und ließ
die Finger langsam darübergleiten. Diese Schönheit
dieses
Farbenspiel
Wolken wie auf der Erde und darunter die scharfen Konturen
der Planetenoberfläche.
Deirdre blickte nicht auf, als sich hinter ihr die Tür öffnete.
Sie hatte es satt, dem Captain von Santiago von den Ereignissen im Treibhaus
zu berichten. Und sie war es leid, die sorgenvollen Minen der anderen sehen
zu müssen - würde das Schiff es schaffen? Noch immer spürte
sie das Beben unter ihren Füßen, ein Vibrieren, als würde
das Schiff jeden Moment auseinanderbrechen.
"Ein Blick schöner als der andere", schwärmte hinter ihr eine
kräftige Stimme. Deirdre wirbelte herum
Morgan, der blinde Passagier,
stand in der Tür. Sein Blick war auf Deirdre und den strahlenden Planeten
hinter ihrem Rücken gerichtet.
"Wie kommen Sie hierher?" fuhr sie Morgan scharf an. "Sie stehen unter Arrest."
Er lachte in sich hinein wie nach einem gelungenen Scherz. "Nicht mehr. Einige
Mitglieder der Crew haben sich für mich eingesetzt, und der Captain
bat mich persönlich um Unterstützung. Ich weiß einige Dinge
über die Unity, die sich in kritischen Momenten wie diesen als sehr
nützlich erweisen könnten." Er wies mit dem Kopf auf den Planeten.
"Das ist also die Neue Welt, schöne Frau?"
"Officer Skye bitte", entgegnete sie abwesend und wandte sich von ihm ab.
Sie wurde vom Anblick des Planeten magisch angezogen. "Ist er nicht
wunderschön?"
"Schöner als meine edelsten Diamanten." Er trat einen Schritt nach vorne
und machte eine ausladende Geste mit einer Hand. "Er ist wie eine
Münze auf einem Kissen aus schwarzem Samt."
Sie funkelte ihn an. "Er ist, wie die Erde einst war. Hunderten, Tausenden
von Generationen war dieses Privileg, das wir heute haben, verwehrt. Eine
unberührte Welt."
"Eine Welt voller Hoffnung", entgegnete er und hob sein Kinn.
"Nein." Deirdra verstummte und biß sich auf die Lippen.
Morgan sah sie an und lächelte verwirrt. "Sie haben keine Hoffnung?"
Er versuchte, ihren Gesichtsausdruck zu deuten. "Es ist Ihre neue Welt...
sie ist wie geschaffen für Ihre Experimente. Sie haben die Strukturanalyse
gesehen
Der Planet ist ausgesprochen nitratreich... perfekt für
Ihre Züchtungen."
"Ja, ich weiß. Ich meine. Ihre Ziele sind einfach so offensichtlich."
Morgans Augenbraue zuckte. "Sie sehen eine Welt... reich an natürlichen
Rohstoffen, die nur darauf wartet
ausgebeutet zu werden. Oder irre
ich mich?"
"Ausbeuten." Morgan sprach das Wort aus, als würde er einen edlen Wein
kosten. Er warf ihr einen abschätzigen Blick zu. "Ich habe mich die
ganze Zeit gefragt, wer dieses Wort zuerst verwenden würde. Wir alle
alle Lebensformen beuten aus, Officer. Ihre Pflanzen beuten das
Kohlendioxid aus, das wir ausatmen. Wir beuten die Pflanzen als Nahrungsmittel
aus. Selbst die einfachsten Ihrer Blümchen würden uns mit Freuden
töten, wenn sie könnten. Nur, um nicht selbst konsumiert zu werden."
"Vielleicht. Allerdings herrscht dabei ein natürliches Gleichgewicht.
Eine Tatsache, die Ihnen eigentlich bekannt sein müßte. Wir sind
nicht gekommen, um 'auszubeuten'."
"Sind wir nicht? Beständiges Wachstum ist unerläßlich für
das natürliche Gleichgewicht. Sozusagen der Heilige Gral der Wirtschaft."
"Ihr Reichtum bedeutet hier nichts."
"Reichtum beruht auf dem Austausch von Werten. Ihnen muß ich das doch
sicher nicht erklären." Er gluckste: "Ich denke, wir werden in unserer
neuen Welt gut miteinander auskommen. Und ich bin sicher, daß ich Ihnen
die Rohstoffe für Ihre Arbeit liefern werde."
"Sie scheinen sich Ihrer zukünftigen Rolle auf diesem Planeten ja sehr
sicher zu sein." Sie wandte sich Morgan zu und fühlte die Hitze der
Centauri-Sonnen auf ihren Wangen.
"Nein, nicht zwingend, doch ich bin hier. Ich bin eine
Führungspersönlichkeit, ein Manager. Captain Garland wird mit
Sicherheit gerne auf jede verfügbare Kraft zurückgreifen.
Schließlich könnte sich unser neues Paradies als vergleichsweise
unwirtlich erweisen."
Sie schüttelte den Kopf. "Es ist eine wunderbare Welt. Warum können
Sie nicht einfach ihre Schönheit genießen?"
"Ich kann. Ich weiß alles Schöne zu schätzen. Es ist von
hohem Wert. Was den Planeten betrifft
er gefällt mir ... sonst
wäre ich wohl kaum hier."
"Doch Menschen, die denken wie Sie, werden ihn zerstören", konterte
Deirdre. Als er darüber lachte, stieg langsam Zorn in ihr auf. "Was
gibt es da zu lachen?"
"Das ist also Ihre berühmte Intensität, mit der Sie auch Ihre Pflanzen
Tag und Nacht pflegen. Ich kann mir lebhaft vorstellen, daß Sie eines
Tages ein Pflänzchen züchten werden, das sich selbst verteidigen
kann ... Lady Skye und ihre flammenwerfenden Weizenlegionäre marschieren
gegen meinen Handelsstützpunkt." Wieder gluckste er. "Was wir brauchen,
sind Händler, Lady. Wer sonst könnte Raupen in Seide verwandeln?"
"Adam und Eva waren auch mit ihrem Garten zufrieden."
"Jetzt hören Sie sich schon an wie Godwinson", entgegnete Morgan ruhig.
Er seufzte und wandte sich um. Dann verharrte er in der Bewegung und warf
ihr zu: "Möglicherweise wird die Menschheit diesen Planeten besudeln.
Vielleicht haben wir aber auch alle aus der Tragödie, die sich auf der
Erde zugetragen hat, gelernt. Doch soviel ist sicher, Lady", er wich ihrem
verärgerten Blick nicht aus, als sie sich ihm zuwandte, "hätten
Sie gewollt, daß dieser Planet unberührt und rein bleibt, hätten
Sie dieses Schiff niemals betreten dürfen."
|