Reise nach Centauri: 26. Kapitel
 
"Das Schiff zerbricht."

Zakharovs Worte hallten durch die Kommandozentrale. Die Blicke der Anwesenden verdüsterten sich. "Die Unity wird dieser Belastung nicht mehr lange standhalten."

"Das heißt?" fragte Garland knapp.

"Wir müssen mit dem Schlimmsten rechnen. Das gesamte Schiff könnte auseinanderbrechen, bevor auch nur einer von uns die neue Welt betreten hat."

"Wir sind beinahe am Ziel." warf Miriam ein. "Warum jetzt?"

"Physik." entgegnete Zakharov trocken.

"Vielleicht ist es besser so", murmelte Deirdre. Sie war in die Kommandozentrale gekommen, um nach der Überwältigung Santiagos Bericht zu erstatten. Der Captain ignorierte sie oder hatte sie nicht gehört.

"Sollen wir die Unity verlassen?" frage er und sprang auf. "Sind wir nahe genug, um die Landemodule zu starten?"

"Zu früh", entgegnete Zakharov. "Wir sollten allerdings mit den Vorbereitungen beginnen. Lassen Sie das komplette Schiff wecken. Alle Mann sollen sich an den zugewiesenen Landemodulen versammeln. Verteilen Sie die Vorräte neu. Und finden Sie sich vor allem damit ab, daß möglicherweise kein einziges Landemodul den Planeten erreichen wird."

"Vielleicht aber auch alle? Besteht diese Möglichkeit auch?" fragte Lal.

"Ja, natürlich", erwiderte Zakharov.

"Captain, wir haben einen Statusbericht über die erste Welle der Landemodule", unterbrach Cotter, der diensthabende Leutnant.

"Ausgezeichnet", rief Captain Garland. Hinter ihm begann Deirdre zu zittern. "Schicken Sie die nächste Welle. Bereiten Sie die Oberfläche vor… Wir wissen nicht, wer sie wann benötigen wird."

"Captain", unterbrach ihn Deirdre, die aufgestanden war. "Ich muß protestieren. Sind wir etwa interstellare Schmeißfliegen … ist das unser Willkommensgruß an den neuen Planeten?"

"Dafür ist jetzt keine Zeit", war die knappe und eisige Anwort. Deirdre öffnete erneut den Mund, doch dann erkannte sie den Zorn in Garlands Augen. Plötzlich fühlte sie die Verzweiflung, die von allen Anwesenden Besitz ergriffen hatte. Es ging nur noch darum zu überleben. Die Philosophie war zweitrangig …

"Nun gut", sagte sie und ging zum Aussichtsdeck.

Deirdre Skye stand auf dem Aussichtsdeck außerhalb der Kommandozentrale und betrachtete den Planeten, der sich wie ein Juwel von der Dunkelheit des Alls abhob. Alpha Centauri A, der Primärstern dieses Systems tauchte den Planeten in ein wunderbares Licht, und Alpha Centauri B, die zweite der drei Sonnen des Systems, beleuchtete die Oberfläche mit sanftem Licht.

Wie hypnotisiert starrte sie auf die neue Welt. Unbewußt berührte sie mit einer Hand das dicke Sicherheitsglas des Fensters und ließ die Finger langsam darübergleiten. Diese Schönheit… dieses Farbenspiel… Wolken wie auf der Erde und darunter die scharfen Konturen der Planetenoberfläche.

Deirdre blickte nicht auf, als sich hinter ihr die Tür öffnete. Sie hatte es satt, dem Captain von Santiago von den Ereignissen im Treibhaus zu berichten. Und sie war es leid, die sorgenvollen Minen der anderen sehen zu müssen - würde das Schiff es schaffen? Noch immer spürte sie das Beben unter ihren Füßen, ein Vibrieren, als würde das Schiff jeden Moment auseinanderbrechen.

"Ein Blick schöner als der andere", schwärmte hinter ihr eine kräftige Stimme. Deirdre wirbelte herum … Morgan, der blinde Passagier, stand in der Tür. Sein Blick war auf Deirdre und den strahlenden Planeten hinter ihrem Rücken gerichtet.

"Wie kommen Sie hierher?" fuhr sie Morgan scharf an. "Sie stehen unter Arrest."

Er lachte in sich hinein wie nach einem gelungenen Scherz. "Nicht mehr. Einige Mitglieder der Crew haben sich für mich eingesetzt, und der Captain bat mich persönlich um Unterstützung. Ich weiß einige Dinge über die Unity, die sich in kritischen Momenten wie diesen als sehr nützlich erweisen könnten." Er wies mit dem Kopf auf den Planeten. "Das ist also die Neue Welt, schöne Frau?"

"Officer Skye bitte", entgegnete sie abwesend und wandte sich von ihm ab. Sie wurde vom Anblick des Planeten magisch angezogen. "Ist er nicht wunderschön?"

"Schöner als meine edelsten Diamanten." Er trat einen Schritt nach vorne und machte eine ausladende Geste mit einer Hand. "Er ist wie eine … Münze auf einem Kissen aus schwarzem Samt."

Sie funkelte ihn an. "Er ist, wie die Erde einst war. Hunderten, Tausenden von Generationen war dieses Privileg, das wir heute haben, verwehrt. Eine unberührte Welt."

"Eine Welt voller Hoffnung", entgegnete er und hob sein Kinn.

"Nein." Deirdra verstummte und biß sich auf die Lippen.

Morgan sah sie an und lächelte verwirrt. "Sie haben keine Hoffnung?" Er versuchte, ihren Gesichtsausdruck zu deuten. "Es ist Ihre neue Welt... sie ist wie geschaffen für Ihre Experimente. Sie haben die Strukturanalyse gesehen … Der Planet ist ausgesprochen nitratreich... perfekt für Ihre Züchtungen."

"Ja, ich weiß. Ich meine. Ihre Ziele sind einfach so offensichtlich." Morgans Augenbraue zuckte. "Sie sehen eine Welt... reich an natürlichen Rohstoffen, die nur darauf wartet… ausgebeutet zu werden. Oder irre ich mich?"

"Ausbeuten." Morgan sprach das Wort aus, als würde er einen edlen Wein kosten. Er warf ihr einen abschätzigen Blick zu. "Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, wer dieses Wort zuerst verwenden würde. Wir alle … alle Lebensformen beuten aus, Officer. Ihre Pflanzen beuten das Kohlendioxid aus, das wir ausatmen. Wir beuten die Pflanzen als Nahrungsmittel aus. Selbst die einfachsten Ihrer Blümchen würden uns mit Freuden töten, wenn sie könnten. Nur, um nicht selbst konsumiert zu werden."

"Vielleicht. Allerdings herrscht dabei ein natürliches Gleichgewicht. Eine Tatsache, die Ihnen eigentlich bekannt sein müßte. Wir sind nicht gekommen, um 'auszubeuten'."

"Sind wir nicht? Beständiges Wachstum ist unerläßlich für das natürliche Gleichgewicht. Sozusagen der Heilige Gral der Wirtschaft."

"Ihr Reichtum bedeutet hier nichts."

"Reichtum beruht auf dem Austausch von Werten. Ihnen muß ich das doch sicher nicht erklären." Er gluckste: "Ich denke, wir werden in unserer neuen Welt gut miteinander auskommen. Und ich bin sicher, daß ich Ihnen die Rohstoffe für Ihre Arbeit liefern werde."

"Sie scheinen sich Ihrer zukünftigen Rolle auf diesem Planeten ja sehr sicher zu sein." Sie wandte sich Morgan zu und fühlte die Hitze der Centauri-Sonnen auf ihren Wangen.

"Nein, nicht zwingend, doch ich bin hier. Ich bin eine Führungspersönlichkeit, ein Manager. Captain Garland wird mit Sicherheit gerne auf jede verfügbare Kraft zurückgreifen. Schließlich könnte sich unser neues Paradies als vergleichsweise unwirtlich erweisen."

Sie schüttelte den Kopf. "Es ist eine wunderbare Welt. Warum können Sie nicht einfach ihre Schönheit genießen?"

"Ich kann. Ich weiß alles Schöne zu schätzen. Es ist von hohem Wert. Was den Planeten betrifft … er gefällt mir ... sonst wäre ich wohl kaum hier."

"Doch Menschen, die denken wie Sie, werden ihn zerstören", konterte Deirdre. Als er darüber lachte, stieg langsam Zorn in ihr auf. "Was gibt es da zu lachen?"

"Das ist also Ihre berühmte Intensität, mit der Sie auch Ihre Pflanzen Tag und Nacht pflegen. Ich kann mir lebhaft vorstellen, daß Sie eines Tages ein Pflänzchen züchten werden, das sich selbst verteidigen kann ... Lady Skye und ihre flammenwerfenden Weizenlegionäre marschieren gegen meinen Handelsstützpunkt." Wieder gluckste er. "Was wir brauchen, sind Händler, Lady. Wer sonst könnte Raupen in Seide verwandeln?"

"Adam und Eva waren auch mit ihrem Garten zufrieden."

"Jetzt hören Sie sich schon an wie Godwinson", entgegnete Morgan ruhig. Er seufzte und wandte sich um. Dann verharrte er in der Bewegung und warf ihr zu: "Möglicherweise wird die Menschheit diesen Planeten besudeln. Vielleicht haben wir aber auch alle aus der Tragödie, die sich auf der Erde zugetragen hat, gelernt. Doch soviel ist sicher, Lady", er wich ihrem verärgerten Blick nicht aus, als sie sich ihm zuwandte, "hätten Sie gewollt, daß dieser Planet unberührt und rein bleibt, hätten Sie dieses Schiff niemals betreten dürfen."

  Bordcomputer
Statusbericht

Landemodule gestartet

Vorberichte über den Planeten eingetroffen