Morgan schob wohlüberlegt seine Dame vor.
Auf der gegenüberliegenden Seite des Hologramm-Tisches in Morgans Zelle
zog Imran Siddiqui eine Augenbraue hoch. Plötzlich begannen die Hologramme
zu flackern und verschwanden schließlich vollständig.
"Ich dachte, Sie spielen defensiv", knurrte Imran.
Morgan lächelte. "Sie in diesem Glauben zu lassen war doch wohl defensiv
genug."
"Hmmm." Imran tippte zweimal auf das Schachbrett. Ein Läufer in Gestalt
einer Lara-Croft-Figur bedrohte nun einen von Morgans Springern. Plötzlich
begann auch der Läufer zu flackern.
"Verschwindet mein Läufer jetzt auch?" fragte Imran besorgt.
"Möglich. Ich hasse diese billigen Holos, zumal echte Figuren wesentlich
mehr Stil haben."
"Ja! Und vor allem lösen sie sich nicht in Luft auf." Imran starrte
gequält auf seine Figur. "Vermutlich die Hitze. Ist aber auch verdammt
heiß hier." Er begann, seinem Läufer hysterisch Luft
zuzufächeln. "Diese Teile sind einfach zu empfindlich."
Der Läufer erschien wieder auf dem Brett. Morgan überlegte kurz
und attackierte mit seinem Springer Imrans König. "Hier ist es nur so
heiß, weil ich eine Erkältung habe. Ich friere schon, seit ich
aufgetaut wurde. Schach!"
"Dann rufen Sie doch einen Arzt." Imran senkte seinen Kopf und war nun auf
gleicher Höhe mit den Schachfiguren. Es schien, als erwartete er sich
von der neuen Perspektive eine Eingebung. "Schätze, ich habe eben meinen
Turm verloren." Widerwillig zog er seinen König auf sicheres Terrain.
"Richtig. Doktor Nambala kennt mich. Ich wäre Ihnen sehr verbunden,
wenn Sie sie zu mir schicken könnten." Morgan studierte das Brett: "Ihr
Turm macht mir momentan kein Kopfzerbrechen." Er schlug den Turm und opferte
dabei seine Dame.
"Sie wollen jetzt sofort einen Arzt?" Imran schien das Schachbrett auswendig
zu lernen.
"Ja. Ich bin irgendwie besorgt. Die Gesundheit ist schließlich unser
wichtigstes Gut."
Imran lachte. "Und das aus Ihrem Munde. Ich hörte, Sie hätten auf
der guten alten Erde ganz anderer Schätze bevorzugt... Häuser,
Ländereien, Frauen."
"Ja. Ich hatte all diese Dinge. Und bevor Sie fragen: Es war mehr, als Sie
sich vorstellen können". Morgan grinste.
Imran nickte und machte Anstalten, mit seinem König zu ziehen. Er schien
sich zu weigern, das Geschenk in Form der Dame anzunehmen. "Erzählen
Sie mir mehr."
"Werden Sie einen Arzt rufen?"
"Ich könnte alle Ärzte dieses Schiffs rufen, aber Sie sind immer
noch ein Gefangener."
"Ein Gefangener? Haben sie Ihnen das gesagt?"
"Gut... unter Bewachung. Die U.N. will sich nicht unnötig wichtig machen.
Ich soll lediglich alle paar Stunden nach Ihnen sehen."
"Verstehe." Morgan betrachtete das Schachbrett. "Sie wissen, daß Sie
all diese Dinge ebenfalls haben könnten... Reichtum, Sicherheit, Macht."
"Wäre sicher interessant", entgegnete Imran trocken. "Aber die
Geschäftswelt ist nicht mein Ding. Ich bin nur ein kleiner Ingenieur,
der dem Sicherheitsdienst zugeteilt wurde, bis das Chaos auf diesem Schiff
endlich beseitigt ist.
"Na, na, so dürfen Sie nicht denken. Ein Geschäft ist einfach der
Austausch von Werten. Sie müssen nur die Spielregeln kennen."
"Würde ich die Spielregeln kennen, wäre ich wohl kaum hier. Ich
wäre irgendein Mogul, der auf der Erde festsäße und inzwischen
vermutlich mausetot wäre. So denke ich."
Morgan schüttelte den Kopf. "Sie sind zu negativ. Alles ist ein großes
Spiel, auch der Handel mit Waren für jemand anderen. Doch wie beim Schach
kalkulieren Sie Ihre Ausgaben, um am Ende zu gewinnen und den Preis
entgegenzunehmen."
Imran nickte. "Ja. Ich verstehe, was Sie meinen", seufzte er. Er lehnte sich
zurück und wählte den Aufgabe-Code. Sofort aktivierte Morgan die
Wiederholung und verfolgte erneut aufmerksam alle Züge des vergangenen
Spiels. Während er sich die Wiederholung ansah, sagte er.
"Sie belügen sich selbst. Versuchen Sie nicht, mir zu erzählen,
daß Ihnen Macht, Reichtum und Vergnügungen nichts bedeuten, nur
weil Sie Akademiker sind. Das Bedürfnis nach Macht ist in uns allen
verankert."
Imran sah zu, wie das Spiel geöffnet wurde. "Möglich. Aber was
ist mit dem Bedürfnis, Unterschiede zu machen, oder eine Familie zu
gründen? Das kann doch bedeutend wichtiger sein, als bloße Macht."
Morgan zog eine Braue nach oben. "Und? Hatten Sie eine Familie? Ich meine
.... auf der Erde?"
Imran zögerte. "Nein, ich hatte keine Familie."
"Ich schon", entgegnete Morgan. Imran starrte ihn überrascht an. "Ich
hatte ein bezaubernde Frau. Und ich kenne dieses romantische Geschwätz
... 'selbst in schweren Zeiten wie diesen halten wir zusammen'. Das war schon
immer der blanke Hohn."
Morgan machte eine Pause und räusperte sich. "Mit meinem Reichtum konnte
ich sie beschützen. Ich gab ihr die Sicherheit, die ich ihr ohne meine
Macht und mein Geld nicht hätte bieten können. Träumen Sie
weiter von Ihren großen Zielen und Ihren wissenschaftlichen Forschungen.
Doch die Uhr tickt. Wollen Sie nicht lieber derjenige sein, der die Macht
hat und die Zügel fest in der Hand hält? Wollen Sie nicht selbst
Ihr Schicksal bestimmen?"
"Ja, natürlich." Imran dachte kurz nach, bevor er fragte: "Was ist mit
Ihrer Frau?"
"Auch meine Macht hat Grenzen. Strahlenkrankheit. Immerhin verbrachte sie
ihre letzten Tage in einer Umgebung, die auch für eine sterbende
Königin angemessen gewesen wäre. Ich konnte ihr die beste Pflege
ermöglichen." Die Wiederholung stoppte. "Rufen Sie meine Ärztin?"
"Falls ja, werden Sie sich erkenntlich zeigen?" Imran grinste.
"Sie lernen schnell! Natürlich. Wir sind schließlich immer noch
Menschen und wo Menschen sind, ist auch die menschliche Natur nicht weit.
Was wollen Sie? Zurück zu den Ingenieuren?"
Imran hob den Kopf. "Ja."
"Ich werde sehen, was ich tun kann. Allerdings werden mir unsere Unterhaltungen
fehlen. Versprechen Sie mir, daß Sie mich gelegentlich auf eine Partie
Schach besuchen?"
"Sie können das wirklich veranlassen?" Imrans Hoffnung war deutlich
fühlbar.
"Ja, höchstwahrscheinlich. Doch vergessen Sie diesen Gefallen niemals.
Und wenn Gayle kommt - ziehen Sie sich bitte einige Zeit zurück."
"Gayle?"
"Dr. Nambala. Ich glaube, Sie kann uns beiden helfen."
|